Gerichtsdolmetschen

© Gorana Koch

Gorana Koch

  • freiberuflich tätige beeidete Dolmetscherin für Bosnisch, Kroatisch, Serbisch und Englisch
  • Abschlussjahr (MA) am ZTW: 2017

Wie bist Du zu dem Job gekommen und welche beruflichen Stationen hast Du vorher schon durchlaufen? 

Nach dem Studienabschluss habe ich mich selbstständig gemacht. Mein Plan "A" war es, als freiberufliche Konferenzdolmetscherin zu arbeiten. Auf Empfehlung einer Studienkollegin bewarb ich mich auch für das Dolmetscherregister des Innenministeriums. Daraus wurde mein Plan "B", der sehr interessant und vielseitig ist, und ich arbeite immer noch regelmäßig für verschiedene Polizeidienststellen, das BFA (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl) usw. Dafür muss man flexibel sein, aber entgegen der landläufigen Meinung muss man nicht immer erreichbar sein (vor allem nicht nachts) – man bekommt trotzdem Aufträge und Anrufe, sowohl schriftlich als auch mündlich. Professionelle Dolmetscher*innen sind immer gefragt und werden sehr geschätzt.

Vor kurzem habe ich die Prüfung zur Gerichtsdolmetscherin für meine Arbeitssprachen abgelegt, die sehr anspruchsvoll ist und auf die ich mich etwa 6 Monate lang intensiv vorbereitet habe. Es ist wirklich hilfreich, während der Vorbereitungszeit zu Gerichtsverhandlungen zu gehen, die in der Regel öffentlich sind und sehr oft eine Dolmetscherin einbeziehen (Landesgericht für Strafsachen Wien ist ein guter Tipp). Außerdem ist es auch möglich, als Zuhörer*in bei einer anderen Gerichtsdolmetscherprüfung dabei zu sein, das hilft sehr!

Seitdem bin ich hauptsächlich in diesem Bereich tätig. Hier wird es noch vielfältiger, denn es gibt sowohl Zivil- als auch Strafsachen: von Traumhochzeiten bis zu Gefängnisvisiten, von Handelsvertragsstreitigkeiten bis zu Bodypackern/Drogenkurieren, von Gutachten zur Erziehungsfähigkeit eines Elternteils bis zur Rekonstruktion von Verkehrsunfällen und, und, und ...

Wie sieht ein typischer Arbeitstag bei Dir aus?         

Das Beste an meiner typischen Arbeitswoche ist, dass sie sehr abwechslungsreich ist. Es gibt immer einige "fixe" Dolmetschertermine, meist sind dies Gerichts- oder Notartermine, die immer an verschiedenen Orten, zu verschiedenen Themen (Familienrecht, Strafrecht, GmbH-Gründung etc.) stattfinden. Manchmal sind auch schriftliche Übersetzungen zu erledigen, diese mache ich meist zu Hause. Mindestens einen Tag in der Woche bin ich außerhalb von Wien unterwegs. Manchmal rufen die Gerichte oder die Polizei auch spontan an, z.B. wenn eine Dolmetscherin ausfällt oder wenn jemand verhaftet wird und die Kommunikation nicht funktioniert. Manchmal werden Termine abgesagt oder verschoben, da muss man immer flexibel sein und versuchen, das Beste aus einer Situation zu machen.

Tipps für den Berufseinstieg

Wieviel Arbeit man nach dem Studium haben wird, hängt meiner Meinung nach von vielen Faktoren ab, vor allem von den persönlichen Vorlieben, der Sprachkombination und den Gegebenheiten des Ortes, an dem man lebt, sowie von der aktuellen Lebenssituation.

Es stellen sich Fragen wie "Übersetzen oder Dolmetschen?" oder "von zu Hause aus arbeiten oder nicht?". Wenn das nicht klar ist, ist das in Ordnung, und mein Tipp wäre, verschiedene Dinge auszuprobieren.

Und nutzt immer die Gelegenheit, euch weiterzubilden, Veranstaltungen, Seminare und Konferenzen zu besuchen, wenn ihr die Zeit und/oder die Möglichkeit habt. Außerdem sollte man immer auf die Empfehlungen, Meinungen, Erfahrungen usw. seiner Kolleg*innen hören, sich aber nicht von negativen Erfahrungen/Kommentaren davon abhalten lassen, selbst etwas auszuprobieren. Vielleicht gibt es ja ein paar positive Überraschungen. :)

 

Weitere Infos:

ÖVGD (österreichischer Verband der allgemein beeideten und gerichtlich zertifizierten Dolmetscher)

 

Interview: Oktober 2023